Ein gutes Lerngefühl mit sicherem Rechnen, Lesen und Schreiben.

Ein Interview mit Romeo Pfammatter

Romeo, als ehemaliger Primar- und Oberstufenlehrer bietest du seit über 5 Jahren kostenlose Lerncoachings bei der katholischen Kirche Bern-West an. Wie kam es dazu?

Damals arbeitete ich als Klassenlehrer an einer Privatschule. Dort waren die Schülerinnen und Schüler wöchentlich zu einem Gespräch mit dem Lehrer verpflichtet. Dabei habe ich sehr viel erfahren über Probleme von Jugendlichen, die zu Lernblockaden oder schulischen Widerständen führen können. Die Teenager haben mich gelehrt, genau zuzuhören und hinzuschauen. Leider beschränkten sich diese Gespräche aus zeitlichen Gründen nur auf 10 bis 15 Minuten. Doch sie weckten in mir den Wunsch, mehr in einer solch beratenden Funktion tätig zu sein. Im Internet stieß ich auf eine Stellenausschreibung als Jugendarbeiter der katholischen Kirche Bern-West. Da ich im Nebenfach Theologie studiert hatte, dachte ich: "Probiere es einfach, vielleicht öffnet sich hier eine neue Türe für dich." Ich wurde zu einem Gespräch eingeladen. Als ich mein Projekt als Lerncoach vorgeschlagen habe, das heute den Namen Lernavanti trägt, war mein neuer Chef hell begeistert. Meine „Blind-Bewerbung“ war ein absoluter Glückstreffer!

Wie sieht deine Kombination aus Jugendarbeit und Lerncoaching aus?

Lerncoaching ist für mich Jugendarbeit. Heute bin ich als Jugendarbeiter zu 70 Stellenprozent angestellt. Davon stehen 60 Prozent Arbeitszeit für Lernavanti zur Verfügung, weitere 10 Prozent für kleine Projekte. Als Mitglied des Teams der Katholischen Kirche Bern-West stehen auch Sitzungen an. Dann bin ich auch Mitorganisator eines Open-Air-Kinos im Sommer und leite mit einer Katechetin pro Jahr zwei spirituelle Wochenenden für Teenager.

Den größten Teil der Zeit nutze ich für Lernavanti. Die Nachmittage sind hauptsächlich für Coachings oder Lerntrainings gebucht, dazu kommen Elternberatungen. Bei den Trainings geht es um das Automatisieren von Grundfertigkeiten im Lesen, Rechnen, Schreiben. Wer in diesen Lernbereichen sicher ist, gewinnt generell an Selbstsicherheit. So können wir Kinder nicht nur schulisch stärken. Dieser Fokus ist wichtig in einer Gegend mit einer Bevölkerung mit starkem Migrationshintergrund.

Die meisten Kinder und Jugendlichen, die zu mir kommen, schlagen sich mit ähnlichen Problemen herum: Druck in der Schule, kein Bock auf Lernen, Schwierigkeiten in Fächern, Verzettelung beim Planen, usw. Ich biete Hand, wo Hilfe nötig ist. In meinem Fall treffe ich den Nerv vieler Kinder und Teenager der Region. Denn Migrantenfamilien könnten sich ein solches Lerncoaching in der Privatwirtschaft finanziell schlicht nicht leisten.

In den letzten Monaten habe ich intensiv an Lernclips gearbeitet. Die kurzen Videos finden sich auf der Webseite www.lernavanti.ch und auf Youtube:

Mit den Lernvideos ist der Wirkungsgrad nun gestiegen, das freut mich enorm. Es kann doch nicht sein, dass ein Neuntklässler den Zehnerraum immer noch mit den Fingern zählt, was ich nicht selten antreffe! Da müssen wir Bezugspersonen genauer hinschauen und präventiv vorgehen. Denn meine Erfahrung zeigt: Wer blitzschnell rechnen, flüssig lesen und sicher schreiben kann, hat gute Voraussetzungen für solide Leistungen. Ein Kind oder ein Teenager fühlt sich damit kompetenter, das gibt Sicherheit und Selbstvertrauen. So kann ich vielen Kindern helfen und Eltern dadurch entlasten.

Was möchtest du mit deiner Tätigkeit bewirken? 

Ich war selber kein guter Schüler, habe den Knopf erst an der Uni aufgemacht. Ich möchte ganz einfach den Kindern und Teenagern ein gutes Lerngefühl vermitteln. Es ist mir wichtig, dass Kinder mit Lernschwierigkeiten bei mir positive Erfahrungen machen. Erfolgserlebnisse geben Kraft, die Selbstwirksamkeit wird dadurch gestärkt.

Worin unterscheidet sich deine Arbeit von der eines selbstständigen Lerncoachs?

Bezüglich Akquisition befinde ich mich in einer komfortablen Lage. In der Kirche haben wir kaum wirtschaftlichen Druck. Vielmehr bin ich gefordert, mich abzugrenzen, weil ich relativ viele Anfragen bekomme. Da es sich um ein diakonisches Projekt handelt, stehen soziale und christliche Werte im Vordergrund. Das heißt, Lernavanti setzt sich vor allem für einkommensschwache Eltern und für Familien ein, die sonst wenig Unterstützung erhalten.

Ein wesentlicher Unterschied ist das kostenlose Angebot. Dadurch kann ich bei Kindern oder Jugendlichen mit großen Lernproblemen oder schwierigen (familiären) Hintergründen auf Kontinuität setzen und eine wichtige, konstante Bezugsperson in ihrem Leben werden – und das kann Monate oder gar Jahre dauern. Natürlich arbeite ich nicht im herkömmlichen Sinne leistungsorientiert. Bei uns geht es zum Beispiel nicht darum, ein Kind unbedingt in die Sekundarschule zu bringen.

Kannst du dich an ein Erlebnis in deiner Arbeit als Lerncoach und Jugendarbeiter erinnern, das dich besonders berührt hat?

Oh, da gibt es jede Woche ein paar neue Erlebnisse! Ganz besonders berührt hat mich ein Abschlussgespräch mit einem Jugendlichen und dessen Mutter, die wegen einer Krebs-Therapie sehr angeschlagen war. Der Schüler wollte unbedingt eine KV-Lehre absolvieren, trotz einer Note 4 in Mathe. Die Chancen für eine solche Lehrstelle waren deshalb gering. Die Anspannung beim Jugendlichen und in der Familie war sehr groß. Ich arbeitete mit dem Jungen intensiv an seinem Bewerbungsgespräch. Während des Abschlussgesprächs bekam der Schüler einen Anruf. Es war die Zusage einer Firma, ihn als KV-Lehrling anzustellen – die Mutter brach in Tränen aus.

Was wünschst du dir für Lernavanti und die Zukunft?

Das Image der Katholischen Kirche wurde durch Skandale und Missbräuche schwer geschädigt. Ich arbeite nun seit über fünf Jahren bei der Katholischen Kirche Region Bern und erlebe hier tagtäglich das Gegenteil: Engagierte Frauen und Männer, die sich als kompetente Theologen, Sozialarbeitende, Katechetinnen usw. für das Wohl der Gesellschaft einsetzen. Bei uns kommt es nicht darauf an, ob man getauft, geschieden oder katholisch ist. Ich begleite alle Kinder unabhängig von Herkunft und Religion. Ich helfe, wo ich kann, gehe individuell auf die Kinder ein und arbeite professionell. Mit Lernavanti trägt die Katholische Kirche zur Bildungschancen­gleichheit bei. Ich wünschte mir weitere Lernavanti-Standorte. Viele Gemeinden könnten von solch einem Projekt profitieren, nicht nur die Kinder und Eltern. Ich bekomme zum Beispiel viel Wertschätzung von den Schulen.

Welche Bedeutung hat deine Weiterbildung in deiner beruflichen Tätigkeit?

Ich selber habe viel von der Weiterbildung in Lerncoaching profitieren können. Die Instrumente und Methoden, die ihr vermittelt, sind handfest. Aber auch die sorgfältige Analyse von Wissenslücken hat meine Tätigkeit als Lerncoach professionalisiert. Ich fühle mich wie ein Arzt, der seine Patienten auf Nieren, Lunge und Herz prüft. Bei mir geht es einfach um Rechnen, Lesen und Schreiben. Auch für Eltern ist dieses „Röntgenbild“ auf der fachlichen Ebene aufschlussreich. Gemeinsam mit ihnen kann ich ein gezieltes Lerntraining gestalten, welches dem Kind mehr Kompetenz und Selbstvertrauen vermittelt.

Ich danke euch für die vielen Inspirationen, auch im psychologischen Bereich. Zum Beispiel bin ich sehr erfolgreich mit der Lern- und Müllzeit-Strategie unterwegs. Mit diesem mentalen Anker kann ich vielen Kindern helfen, fokussierter zu arbeiten. Lehrer und Eltern sind begeistert.

Mehr über Romeo Pfammatters wunderbares Projekt Lernavanti erfahren Sie unter: www.lernavanti.ch

Akademie für Lerncoaching
Albulastrasse 57
8048 Zürich